Alexander Jenner – langjähriger Freund, Kollege und Weggefährte


V. l. n. r.: Jürg Vintschger, Jacques Klein, Carmen

Vitis-Adnet, Hans Graf, Bruno Seidlhofer,
Alexander Jenner, NN

Hans Graf war Schüler von Bruno Seidlhofer, wie damals, in der ersten Zeit nach dem 2. Weltkrieg auch Friedrich Gulda, Franz Bauer (damals noch ohne „Theussl“) und mit den Jahren viele andere, die dann im internationalen Musikleben bekannt wurden. Ich stieß zu ihnen, nachdem 1948 mein erster Lehrer an der Musikakademie, Paul Weingarten, verstorben war. Die ersten Dinge, die ich außer dem Spiel in den Stunden von Hans hörte, war die Erzählung von seiner Mitwirkung als Trompeter in einer studentischen Bigband, sowie begeisterte Berichte von einer üppigen Party im Kremslehner-Hotel Regina. Tatsächlich war eine solche Party in der Wiener Nachkriegszeit eine Sensation. Hans war mit dabei, weil er mit der Gretl Kremslehner befreundet war.

Hans Graf neben Königin Elisabeth von Belgien

In der Chronologie meiner Erinnerungen bin ich unsicher, also erwähne ich zunächst Konzerte von Hans, die mir bleibenden Eindruck gemacht haben, wann immer sie stattgefunden hatten. Er spielte öfters Chopins frühe Mozart-Variationen mit Orchester, die C-Dur-Klaviersonate von Brahms, Variationen von Frank Martin und natürlich vieles andere aus der Klavierliteratur. Einmal spielte er im Konzerthaus das Brahms-Klavierkonzert in d-moll. Es war einen Tag, nachdem Wilhelm Kempff es gespielt hatte und an der zweiten Aufführung verhindert war. Ich hörte beide Aufführungen vom selben Platz, und mir gefiel Hans Grafs Interpretation besser.

Hans war auch Finalist beim Reine-Elisabeth-Wettbewerb in Brüssel und wurde der Königin vorgestellt. Er wollte sein ganzes Französisch zusammennehmen, da tönte es auch schon aus dem Mund dieser gebürtigen bayerischen Prinzessin: „Scheen hams gspuilt!“


Carmen Vitis Adnet und Hans Graf
Eines Tages sah ich Hans in Gesellschaft einer unübersehbaren jungen Dame nahe der Tür zum Stiegenhaus im zweiten Stock der Lo 18 stehen. So lautete bei uns die Adresse der Akademie in der Lothringerstraße. Sie sah ganz ungewohnt aus : Gleichmäßig sonnengebräunt, kohlschwarzes Haar, blendendweißes Kleid – richtig exotisch im grauen Wien. Es wurde gegenseitig vorgestellt. Carmen – das passte genau, aber Vitis-Adnet klang mehr österreichisch als brasilianisch. Beides Ortsnamen : Vitis ist im nördlichen Waldviertel, Adnet im Salzburgischen. Die größte Überraschung aber war, dass Hans und Carmen heiraten wollten. Wie, und wie lange, sich das entwickelte, weiß ich nicht mehr. Jedenfalls sogen die Eheleute nach Rio de Janeiro, wo zwei Töchter zur Welt kamen: Trixie und Clarissa. Soweit ich mich entsinne, unterrichtete Hans dort in einer von den Grafs gegründeten Schule. Als sie sich später entschieden, auf Dauer nach Wien zu kommen – die Clarissa wurde noch im Babykorb transportiert – kam mit ihnen ein ganze Gruppe brasilianischer Klavierstudenten, welche die Basis der neuen Klasse Prof. Hans Graf an der Akademie für Musik und darstellende Kunst in Wien bildete.

Hans’ und Carmens Aufenthalt in Rio hatte auch für mich eine enorme Bedeutung. Das kam so: Im dortigen Winter 1957 wurde ein Internationaler Pianistenwettwerb veranstaltet. Der Präsident der Wiener Musikakademie, Dr. Hans Sittner, wurde als Jurymitglied eingeladen. Hans plante, ihn vom Flughafen abzuholen und bat eine Bekannte, Marytza Rangel, mit ihm in ihrem Auto hinzufahren. Ich hatte mich als Teilnehmer dieses Wettbewerbs beworben und flog zufällig im selben Flugzeug wie die Hauptperson Dr. Sittner. In Rio angekommen, durfte ich mit den Anderen mit in die Stadt fahren. Und wie das Leben so spielt: Ich gewann den Wettbewerb und Marytza, die Abholerin, zur Frau! Das gab ein Rauschen im Blätterwald!

Nun waren schon zwei junge Wiener Pianisten mit Brasilianerinnen verheiratet, was für eine enge Freundschaft aller Vier zuträglich war. Die Kinder der einen nannten die anderen Eltern Onkel und Tante.

Wir beschritten von Wien aus unsere künstlerischen Wege. Außer meiner Frau, die keine Pianistin war, gaben wir unsere Konzerte und gingen jeweils in die der Anderen. Unzählige Male besuchten wir einander gegenseitig.

Inzwischen war auch die Clarissa Graf eine angehende Pianistin geworden. Sehr gut erinnere ich mich, dass sie mit ihrem Vater Bruno Seidlhofers vierhändiges Klavierarrangement von Bachs Kunst der Fuge spielte.

Sowohl Hans als auch später ich wurden Lehrer an unserer eigenen früheren Ausbildungsstätte, der Akademie in der Lothringerstraße. 1970 wurde diese nach deutschem Vorbild zur „Hochschule“. Wir durften uns Hochschulprofessoren nennen und wurden Mitglieder der Abteilung 2 „Tasteninstrumente“. Unsere Unterrichtsräume waren im zweiten Stock, wie auch die der anderen Klavierklassen. Eine davon war die unseres früheren Studienund dann Lehrerkollegen Eduard Mrazek, mit dem wir viele Jahre lang ein Triumvirat beim Besuch der Kantine im Parterre bildeten. Dort waren einige Kaffees während der langen Unterrichtszeiten unerlässlich, und auch den Schülern kam das nicht ungelegen, denn sie konnten während der Abwesenheit ihrer Lehrer üben.


Mit Josef Dichler
Im Abteilungskollegium wurden Dinge besprochen und beschlossen, für die heute langwierige Ausschreibungs- und Auswahlverfahren nötig sind, bei welchen auch fachfremde Leute mitreden. Ein später prominenter Klavierprofessor kam zu dieser Berufung, nachdem Hans und ich uns gegen einen anderen Vorschlag durchgesetzt hatten. Allerdings musste man sich auch so manches Hick-Hack anhören, wie z. B. die Frage, ob die Orgel zur Abteilung Tasteninstrumente zu gehören hat oder zur Kirchenmusik. Meistens jedoch waren es wichtige Entscheidungen, die wir trafen. Der Internationale Beethoven-Klavierwettbewerb war unsere Aufgabe, und da erfanden wir das neuartige Modell, dass nicht verschiedene Klavierfabrikate zur Verfügung stehen bräuchten, sondern nur Bösendorfer, allerdings unter der Bedingung, dass ein neuer Zwei-Meter-Bösendorferflügel von der Fabrik als Teil des Ersten Preises gespendet werden müsste. Die Firma willigte nach meiner gelinden „Erpressung“ mit den üblichen Konkurrenzmarken ein. Dieses Modell hielt sich über mehrere Wettbewerbe, die alle vier Jahre stattfinden. Erst nachdem Yamaha die traditionelle Manufaktur Bösendorfer gekauft hatte, wurde der Flügel kein reines Geschenk mehr.

Lange Jahre war Professor Schwertmann Abteilungsleiter, und nach seiner Pensionierung fiel die Wahl zum Nachfolger auf Hans Graf. (…) Mit einer Berufung auf Zeit in die renommierte Universität von Bloomington, Indiana, endete die Periode von Hans’ Abteilungsleitung.

Auch Carmen ging natürlich nach Bloomington mit, aber ohne Lehrfunktion, glaube ich. Lange nachher traf ich in einer Wettbewerbsjury einen Bloomington-Professor, der mir wörtlich sagte „We wanted Hans for good, we wanted him badly, but it was impossible“.

Die Graf-Töchter bekamen Kinder, und einmal hatte Hans die süße Mizzi, Töchterchen von Clarissa, im Arm. Sie lehnte ihre Wange an seine, da sagte er „Ich hoffe immer, dass sie lange so bleibt, aber leider bewegt sie sich bald wieder.“ (…)

Die Grafs flogen oft in „Carminhas“ alte Heimat. Eines Tages kam die traurige Kunde, dass Hans in Rio an der Lunge erkrankt war. Er war zeitlebens ein starker Raucher gewesen. Es kam, wie es so oft kommt. Lange konnte Hans nur mehr daheimbleiben, und Carmen versorgte ihn vorbildlich. Ich besuchte ihn, und damals vergnügte er sich sehr mit Videos von Victor Borge, dem dänischen Humorgenie am Klavier. Mein letzter Eindruck von Hans war lachend. 30 Jahre später ist er in meinen Gedanken unauslöschlich präsent.