Anne Fawaz, 1975-82

Meine Klavierstunde mit Prof. Graf war der Höhepunkt der Woche. Allerdings hatte ich manchmal am Tag der Stunde das unangenehme Gefühl, nicht gut genug vorbereitet zu sein. Also entwickelte ich einige Strategien, Prof. Graf vom Unterrichten abzulenken, sodass ich weniger Zeit zum Spielen hatte.

Mein bester Trick, mit dem ich immer viel Zeit gewinnen konnte, war, ihn ganz am Anfang der Stunde zu fragen: „Wie geht es Ihren Enkelkindern?“ Diese Frage brachte ihn zum Strahlen. Er holte dann die aktuellsten Fotos seiner geliebten Enkelkinder aus seiner Geldbörse und erzählte mir viele lustige Geschichten über sie. Mit geschickten Fragen konnte ich mindestens 20 Minuten gewinnen. Ein zusätzlicher Vorteil dieser Methode war, dass er nach diesen Erzählungen so gut gelaunt war, dass ihn nichts mehr aus der Ruhe bringen konnte, nicht einmal eine verkürzte Pause ;-)

Eine andere Studentin hat mir einmal erzählt, dass sie sich bei der Klavierstunde so geschämt hat, weil sie so unvorbereitet war, dass sie gar nicht anfangen konnte zu spielen. Sie starrte die Tasten mit gesenktem Kopf an, und traute sich gar keinen Ton zu spielen. Als Prof. Graf sie fragte, was los sei, sagte sie spontan, „Die Tasten sind sehr schmutzig.“ Zu ihrem Entsetzen rief Prof. Graf den Schulwart und verlangte, dass er die Tasten sofort putze. Und dann musste sie doch anfangen zu spielen – und er hat natürlich sofort gemerkt, dass sie nicht geübt hat …

Die absolut cleverste Strategie hat aber unsere Kollegin Elena Ostleitner benutzt. Sie hat erzählt, dass sie einmal komplett unvorbereitet in die Stunde kam. Sie versuchte so deprimiert wie möglich auszuschauen, und als Prof. Graf sie fragte, warum sie so traurig war, seufzte sie: „Ich habe Liebeskummer.“ Da hat Prof. Graf dann das Klavier zugemacht, ist mit ihr in die Kantine gegangen und hat die ganze Stunde damit verbracht, sie mit Mehlspeisen zu versorgen.